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Der Präsident

Der Präsident erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Seit dem er dazu übergegangen ist, auch seine vermeintlichen Gegner regelmäßig zu empfangen, sind diese ihm immer wohl gesonnener, ja es gibt faktisch keine Opposition mehr.

Auch ich bewundere den Präsidenten, wie er jede Woche zwei mal, Stunden lang, still stehend das Defilieren seiner Gäste abnimmt, sie persönlich kennenlernt und ihnen etwas individuelles, auf sie zugeschnittenes, mit auf den Weg gibt.

Ein ausgeklügeltes System erlaubt es ihm, mit jedem seiner Gäste private, vertrauliche Worte zu wechseln.

Es sind immer an die hundert Personen, denen er bei seinem Defilierempfang die Hand schüttelt und dabei verbindliche Worte wechselt, es sind aber nie über hundert Personen.

Der Empfang findet in dem immer gleichen Saale des Präsidentenpalastes statt. Alle die, die vom Präsidenten empfangen werden, sind schon im Saale bevor der Präsident ihn betritt. Sie stehen auf der rechten Seite des Präsidenten, gehen zum Empfang in die Mitte, zum Präsidenten, um, nachdem sie empfangen wurden, auf die linke Seite des Saales zu gehen. Dort warten sie, um, nachdem der Letzte empfangen wurde und auf ihre Seite getreten ist, entlassen zu werden. Der Präsident betritt erst den Saal nachdem bereits alle im Saale versammelt sind und verlässt ihn erst nachdem alle gegangen sind. Er verlässt den Saal als Letzter.

Fast gleich entfernt zwischen den beiden Menschengruppen zur Rechten und zur Linken, steht der Präsident. In würdiger Entfernung von den noch zu Empfangenden und den bereits Empfangenen, zwischen ihnen, fast in der Mitte.

Exakt fünf Meter mit dem Rücken von der Wand entfernt, steht er, gerade so weit im Raum, dass die Größe und die Würde des Saales nicht geschmälert wird, dass der Saal in seiner Mächtigkeit nicht gestört wird, aber auch so weit im Saale, dass der Präsident in ihm nicht versinkt, dass der Saal und er als eine Einheit erscheinen. Der Saal und der Präsident ergeben ein Ganzes.

Dass der Präsident nur fast in der Mitte der zwei Personengruppen seht, hat einerseits den Grund, dass er nicht in der harmonischen Mitte, die immer auch etwas Mittelmäßiges an sich hat, stehen kann, allein seines Amts wegen ist ihm jede Mittelmäßigkeit nicht vergönnt, ja fremd.

Er steht etwas näher bei denen, die bereits empfangen wurden. Diese Personengruppe ist schon durchdrungen von dem Interesse und den Worten des Präsidenten, sie sind, man könnte sagen, gesättigt. Ganz im Gegensatz zu denen, die noch nicht empfangen wurden; sie hungern noch danach, empfangen zu werden. In diesem Zustand des noch nicht Erfüllten, lechzen sie nach jedem Ton, den sei aufschnappen können, beobachten den Präsidenten genau, wie er steht, seine Lippen bewegt, seine Hand zum Gruß ausstreckt. Durch diese hohe Erwartung hören und sehen sie viel, sind ihre Ohren und Augen hypersensibilisiert. Manchmal und das kommt nicht selten vor und kann und soll auch nicht unterbunden werden, hören und sehen die Wartenden mehr, als zu hören oder zu sehen ist.

Diese etwas weitere Entfernung zu den Wartenden schützt den Präsidenten vor den verständlich, neugierigen Ohren und Augen der noch unerfüllten Personen, sie ermöglicht es ihm, ungestört und ohne Mithörer sprechen zu können.

Diejenigen, die schon bei ihm waren, schon empfangen wurden, diese sind durchdrungen von dem was sie hörten, sie sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie keinerlei Wert darauf legen, Worte, die nicht an sie gerichtet sind, mitzuhören.

Es sind sanfte, einfühlsame Worte, die der Präsident für jeden Einzelnen findet. Wenn es angebracht ist, wenn sein Gegenüber es hören möchte, sind es auch Ermahnungen. Es gibt immer Menschen, die Ermahnendes gerne hören, die unsicher in ihrem Tun sind, die sich in der Ermahnung, selbst in dem Tadel, bestätigt fühlen. Anderen widerspricht er. Es sind die, die im Widerspruch ihre Betätigung erleben. Auch ironische, flapsige Bemerkungen, sind ihm nicht fremd, sogar vor Sarkasmen macht er nicht halt, wenn es zur Unterstützung und dem Wohlergehen des bei ihm vorstellig gewordenen führt. Für alle und jeden findet der Präsident während seinem Empfang die richtigen Worte, Worte der Bestätigung, Worte, die ihn beliebt machen, Worte, die ihn unentbehrlich erscheinen lassen.

Alle diejenigen, die mit ihm ein Wort gewechselt haben, verspüren eine Erhabenheit, fühlen sich von ihm angenommen. Seine Zuwendung, den Händedruck, die Witzigkeit, die Raffiniertheit, die auf sie als Person abgestimmte Rede empfinden alle als eine große Hilfe, als ein Geschenk des Präsidenten. Zu Recht wird der Präsident der Präsident des Volkes genannt.

Bei all seinen beglückenden Empfängen begleiten vier Personen des Protokolls den Präsidenten. Eine dieser Personen bin ich.

Rechts neben mir steht der Handtuchhalter. Nach jeder empfangenen Person reicht dieser dem Präsidenten ein Handtuch, an dem er sich seine Hände abwischt. Er reinigt sie nach jedem Handschlag. Dies hat nicht nur hygienische Gründe, die vielleicht vorhanden Krankheitserreger nicht weiter zu reichen; der Präsident als Krankheitsüberträger wäre eine entsetzliche Vorstellung.

Der Begrüßte bekommt, durch die Reinigung, eine noch nicht beschmutzte, eine jungfräuliche Hand. Dies ist der Hauptgrund des Handtuches. Es ist nicht nur ein reines Symbol, es ist für den Präsidenten selbst auch ein Abwischen des bisherigen, ein Reinemachen, ein sich Säubern für die nun kommende Person, ein Zeichen des wieder erlangten Unbelastetseins, des unvoreingenommenen Öffnens für das Neue.

Links von mir und dem Präsidenten stehen zwei Personen, die Helfer oder auch Stützer genannt werden.

Es kommt immer wieder vor, dass jemand vor dem Präsidenten weiche Knie bekommt und beinahe, manchmal auch richtiggehend, zusammenbricht. Das lange Warten, die Erregung durch das Warten, das stille Stehen während des Wartens ist für viele Personen anstrengend und belastet ihren Kreislauf. Dann, wenn es soweit ist, wenn es in Erfüllung geht, worauf sie solange gewartet haben, schon seit Wochen, seit dem sie den offiziellen Brief erhielten, in dem sie erfuhren, dass sie zum Präsidenten eingeladen werden, seit dem erwarten sie unruhig den Tag, fiebern dem Tag entgegen. Wenn es nun so weit ist, sie angereist sind, die ganzen notwendigen Unannehmlichkeiten der Sicherheitsüberprüfungen auf sich genommen, hinter sich gebracht haben und nun schon Stunden, zuerst vor und dann im Saal gewartet haben und nun, nachdem sie aufgerufen wurden, zu ihm zu gehen, vor ihm stehen, versagt der Kreislauf vieler Menschen. Die zwei Personen, die nicht zu unrecht Helfer oder Stützer genannt werden, treten nun in Aktion.,Sie haben jede Menge Erfahrung und sehr aufmerksame Augen, viele haben vor ihren Augen Angst, sehen darin einen angeblich durchdringenden Blick, den sie auch brauchen, um sofort zu reagieren, wenn eine Person weiche Knie bekommt und zu stürzen droht. Sobald sie registrieren, dass eine Person straucheln könnte, augenblicklich stehen sie, ganz dezent, als ob sie schon immer neben der zu Straucheln drohenden Person standen, neben ihr, um ein Fallen zu verhindern. Sie halten die Person aufrecht, bis das Gespräch mit dem Präsidenten beendet ist, bis die letzten Worte gesprochen wurden, dann begleiten sie die Person zu den anderen, die schon empfangen wurden, dort warten bequeme, extra für den Zweck hergestellte Stühle auf sie.

Immer wieder kommt es auch vor, dass Personen vor dem Präsidenten in Ohnmacht fallen und ihr Bewusstsein verlieren. Da ist es die Aufgabe der Helfer oder Stützer, diese von einer kompletten Ohnmacht bedrohten Personen, bevor sie in ihre Ohnmacht fallen, als Ohnmacht gefährdet zu erkennen, ihr Fallen zu verhindern, bei ihnen zu sein, um sie sanft in ihre Arme gleiten zu lassen, sie schonend zur Seite zu tragen, um sie auf eine bei den bereits Empfangenen bereit stehende Liege zu legen und sie mit einer schützenden Decke aus Schurwolle zuzudecken. Die Liege ist so konstruiert, dass die Beine erhöht liegen, das Blut wieder in den Kopf fließen kann und der Kreislauf sich erholt. In diesen Fällen, wenn jemand direkt vor dem Präsidenten in eine Ohnmacht fällt, sein Bewusstsein verliert, beugt sich der Präsident zu dem Gestrauchelten hinunter, berührt ihn und zeigt durch diese Handreichung seine unbedingte Bereitschaft zu helfen, um dann gleich wieder stehend das ihm gereichte Handtuch vom Handtuchhalter zu ergreifen, um sich die Hände abzuwischen und sich auf die neue Person vorzubereiten.

Ich selbst stehe links, ganz nah, hinter dem Präsidenten, an seinem Ohr.

Meine Aufgabe ist es, dem Präsidenten die Namen der Personen, der er empfängt zuzuflüstern, ihm zu der kommenden Person alle Daten zu nennen, ihre Eigenschaften, Funktionen, Bedeutung, Interessen. Das Wichtigste aber, was ich ihm zuflüstere ist das, was er sagen soll, was er zu sagen hat.

Es ist meine Aufgabe, dem Präsidenten die Sätze vorzusagen, die er sprechen muss, um bei dem Gegenüber ein Hochgefühl, ein Gefühl der vollkommenen Anerkennung und Verständnis hervorzurufen. Es müssen Sätze sein, die immer offensiv erscheinen, die großes Interesse am Gegenüber ausdrücken. Sätze, die das Gegenüber sprachlos machen, die beim Gegenüber eine freudige, zustimmende Erregung auslösen.

Es ist meine Aufgabe, die Personen auszuwählen, die der Präsident jede Woche empfängt. Es ist meine Aufgabe diese Personen zu durchleuchten und dann die richtigen Worte, die rechten Sätze zu finden, die der Präsident zu sagen hat.

Der Präsident hat präzise die Worte zu sagen, die ich ihm zuflüstere. Nicht mehr und nicht weniger. Der Präsident hat keine andere Aufgabe, als jede Woche die hundert Besucher zu empfangen und die von mir ihm zugeflüsterten Worte als seine eigenen zu wiederholen.

Er macht dies gut.

Noch macht der Präsident seine Aufgabe gut. Wenn er nachlassen sollte, sei es, dass er nicht mehr so lange stehen kann, sei es, dass er die Worte nicht mehr exakt wiedergeben kann, oder gelangweilt wiedergibt, oder nachlässig, dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo er ausgetauscht werden wird.

Noch kann er sich die Worte merken. Doch der Tag wird kommen, wo er die Sätze, die ich ihm zuflüstere, nicht mehr korrekt wiedergeben kann. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich ihn auszutauschen habe.

Er wird in einen einfachen Skandal verwickelt und wird dadurch bedauerlicherweise nicht mehr haltbar sein. Für drei Wochen werde ich die Empfänge aussetzten. Dann wird der von mir neu bestimmte Präsident direkt vom Volke gewählt.

Noch ist die Zeit nicht gekommen.